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Sexualaufklärung in digitalen Medien:

Der aktuelle Entwicklungs- und Forschungsstand

Für Jugendliche in Deutschland sind digitale Medien längst zur beliebtesten Quelle der Sexual aufklärung geworden. Doch auf welche Angebote und auf welche Anbieter digitaler Sexualaufklärung stoßen sie, wenn sie sich in sozialen Medien bewegen und wenn sie zielgerichtet nach sexualbezogenen Fragen googeln? Welche Qualität hat digitale Sexualaufklärung? Welche Wirkungen zeigt sie? Der Beitrag beschreibt den aktuellen Entwicklungs- und Forschungsstand und gibt Handlungsempfehlungen für die zukünftige Forschung und Praxis.


Einleitung

Während in Deutschland im Jahr 2001 nur 3 % der Mädchen und 10 % der Jungen angaben, ihre Sexualaufklärung überwiegend aus dem Internet zu beziehen, waren es 2014 bereits 39 % der Mädchen und 47 % der Jungen (Bode/Heßling 2015, S. 60). Fragt man Jugendliche in Deutschland heute, auf welche Weise sie sexuelle Wissenslücken am liebsten schließen, so nennen 59 % der Mädchen und 62 % der Jungen das Internet (Bode/Heßling 2015, S. 58). Das Internet rangiert somit bei Jugendlichen inzwischen als beliebtestes Medium der Sexualaufklärung deutlich vor allen anderen Medien und vor allen Vertrauenspersonen. Auch die Mehrzahl (55 %) der Erwachsenen in Deutschland gibt an, im Internet nach sexualbezogenen Informationen zu suchen (Döring/Mohseni 2019, S. 254).

Die jüngere wie ältere Bevölkerung schätzt an der sexualbezogenen Online-Informationssuche den orts- und zeit unabhängigen, schnellen und diskreten Zugriff auf ein breites Themenspektrum (Holstrom 2015). Gleichzeitig herrschen Skepsis und Unsicherheit hinsichtlich der Zuverlässigkeit von Online-Quellen.

Vor diesem Hintergrund möchte der vorliegende Übersichtsbeitrag vier Forschungsfragen nachgehen:

  1. Wie finden Jugendliche Sexualaufklärung in digitalen Medien?
  2. Welche Arten von digitaler Sexualaufklärung stehen zur Verfügung?
  3. Welche Qualität haben digitale Angebote der Sexualaufklärung für Jugendliche?
  4. Welche Nutzungsmuster und Wirkungen zeigen digitale Angebote der Sexualaufklärung?

Die Forschungsfragen sollen anhand einschlägiger Praxisbeispiele und wissenschaftlicher Studien beantwortet werden.

Wie finden Jugendliche Sexualaufklärung in digitalen Medien?

Jugendliche haben prinzipiell auf zwei Wegen Zugang zu Sexualaufklärung in digitalen Medien (Döring 2017c):

  • Push-Modus: Die sexuellen Informationen werden automatisch zugespielt, tauchen etwa automatisch in der eigenen Timeline auf Facebook, Instagram oder Twitter oder als Videovorschlag auf dem eigenen YouTube-Account auf. Das passiert, wenn Anbieter und Kanäle, die Jugendliche in Sozialen Medien geliket oder abonniert haben, sexualbezogene Informationen ausspielen. Beispiel: Jugendliche haben die Facebook-Seite des Informationsangebots Loveline der BZgA abonniert und erhalten dann neue Beiträge gemäß Facebook-Algorithmus zugespielt. Jugendliche möchten sexuelle Informationen im Push-Modus im Allgemeinen jedoch nicht auf ihren teilöffentlichen Online-Profilen erhalten, da es peinlich wäre, wenn Informationen zu Geschlechtskrankheiten für Freunde sichtbar in der Facebook- oder Instagram-Timeline auftauchten. Private Push-Nachrichten z. B. über Messenger-Dienste wie WhatsApp oder über Aufklärungs-Apps sind für sie hingegen akzeptabler (Byron/Albury/Evers 2013).
  • Pull-Modus: Die sexualbezogenen Informationen werden zielgerichtet abgerufen, indem Jugendliche ihre sexuellen Fragen im Wortlaut oder in Stichpunkten in die Suchmaschine Google oder in die Suchmaske der Videoplattform YouTube eingeben. Das bedeutet für Anbieter von Online-Sexualaufklärung, dass sie auf Suchmaschinenoptimierung besonderen Wert legen müssen, um bei einschlägigen Suchbegriffen unter den ersten Google- oder YouTube-Treffern aufzutauchen. Denn typischerweise werden vom Publikum nur die ersten Treffer beachtet. Wer auf YouTube nach »Chlamydien« sucht, findet Videos der Techniker Krankenkasse, der Sexualaufklärerin Inka (Kanal »einfach inka«), des inzwischen eingestellten Kanals »Fickt euch, ist doch nur Sex« (von ARD/ZDF funk) deutlich vor dem ersten Video der BZgA-Kampagne »Die infektastischen STI«. Die Informationsversorgung im Pull-Modus ist der zentrale Verbreitungsweg von Online-Sexualaufklärung.

Das Spektrum der sexuellen Themen, für die Jugendliche sich interessieren, die sie in sexualpädagogischen Maßnahmen ansprechen oder nach denen sie zielgerichtet im Pull-Modus in digitalen Medien suchen, ist sehr breit (Döring 2017c): Es geht um Fragen nach Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Verhütung, um Körper und körperliche Veränderungen, um Gesundheit und Geschlechtskrankheiten und auch um sexuelle Gewalt. Im Vordergrund stehen jedoch Fragen, die sich um sexuelle Praktiken, Identitäten, Beziehungen und sexuelle Lust drehen, somit um sexuelles Wohlbefinden (Holstrom 2015). Explizite Fragen danach, wie man »richtig« oder »gut« küsst und fingert, wie man varianten- und erfolgreich masturbiert, wie Oral-, Vaginal- oder Analsex am besten funktioniert, was Mädchen und Jungen beim Sex jeweils besonders mögen oder nicht mögen, unterstreichen diesen lustorientierten Fokus. Entsprechende Fragen sind bis heute schambesetzt und werden deswegen besonders gern diskret mittels Online-Sexualaufklärung geklärt, zudem stehen online oft vielfältige Rollenmodelle und visuelle Informationen zur Verfügung. Auf die Frage »Wie fingert man richtig« präsentiert YouTube diverse Videos mit Abrufzahlen im Millionenbereich.

Wir wissen relativ wenig darüber, in welchen konkreten Kontexten (Zeit, Ort, situativer Anlass) Jugendliche zielgerichtet im Pull-Modus auf Angebote der Online-Sexualaufklärung zugreifen. Es ist plausibel, dass das Internet die generelle sexuelle Neugier befriedigt und Jugendliche somit z. B. bei Langeweile oder zur Unterhaltung in der Gruppe nach sexuellen Themen googeln. Zudem ist anlassbezogene Informationssuche zu erwarten, wenn Fragen der sexuellen Gesundheit gerade akut geworden sind (z. B. vor dem »ersten Mal« oder dem ersten Frauenarztbesuch, während eines Beziehungskonflikts oder eines Coming-outs, nach einer Verhütungspanne oder einem sexuellen Übergriff). Wenn das Internet in akuten Krisensituationen als Anlaufstation dient, dann ist es für die Informationsversorgung wichtig, dass konkrete Hinweise auf weiterführende Versorgungs- und Hilfsmöglichkeiten gegeben werden (z. B. telefonische Hotline, Beratungsstelle vor Ort).

Eine Analyse der Abrufzahlen des Wikipedia-Eintrags zum Stichwort »HIV« (Gabarron/Lau/Wynn 2016) ergab drei Kontexte des verstärkten Abrufs:

a) ein wöchentliches Muster mit Schwerpunkt auf Montag, was als vermehrte Besorgnis über eine mögliche HIVInfektion nach sexuellen Aktivitäten am Wochenende interpretierbar ist,

b) ein jährliches Muster mit Schwerpunkt auf dem 1. Dezember, dem Welt-AIDS-Tag, und

c) ein ereignisbezogenes Muster im Sinne stark erhöhter Abrufzahlen im November 2015, direkt nach Bekannt werden der HIV-Infektion des Schauspielers Charlie Sheen, der vielen Jugendlichen aus der TV-Serie Two and a Half Men bekannt ist.

Bei der Planung von Online-Kampagnen zur Sexualaufklärung kann es hilfreich sein, solche Kontexte der sexualbezogenen Online-Informationssuche der jeweiligen Zielgruppen zu kennen.

Welche Arten von digitaler Sexualaufklärung stehen zur Verfügung?

Bei zielgerichteter Informationssuche im Pull-Modus tauchen zu sexualbezogenen Suchanfragen auf Google und YouTube vor allem folgende Angebote unter den ersten Treffern auf (Döring 2017c):

  1. Die klassischen Massenmedien Presse und Fernsehen sind mit nicht-fiktionalen und fiktionalen Beiträgen präsent: Wer nach dem »ersten Mal« googelt, landet beim Dr. Sommer-Team der Jugendzeitschrift Bravo. Wer sich auf YouTube über Chlamydien informieren will, stößt auf Folgen der RTL-Serie Berlin Tag und Nacht.
  2. Gesundheits- und Sexualaufklärungsportale: Mit Fragen zur sexuellen Gesundheit (z. B. »Wie kriegt man Muschipilz?«) erreichen Jugendliche die führenden Online-Gesundheitsportale wie Netdoktor.de (Holtzbrinck-Verlag) oder Gesundheit.de (Pharmagroßhändler Alliance Healthcare). Bei HIV-bezogenen Fragen tauchen auch Sexualaufklärungsportale unter den ersten Treffern auf (z.B. von der BZgA und der Deutschen Aidshilfe). Aufklärungs- und Beratungsseiten sind für Mädchen mit 50 % wichtigere Quellen der Online-Sexualaufklärung als für Jungen mit 34 % (Bode/Heßling 2015, S. 62).
  3. Ratgeber-Portale und Online-Foren: Wer im Internet sexuelle Fragen stellt (»Tut Analsex weh?«), gelangt über die ersten Google-Treffer fast immer auf allgemeine Ratgeberportale wie GuteFrage.net (Holtzbrinck Digital GmbH) sowie zu diversen Online-Foren (z. B. Foren auf med1.de, gofeminin.de, erdbeerlounge.de, aven-forum.de). Online-Foren sind für 51 % der Mädchen und 41 % der Jungen wichtige Formen der Online-Sexualaufklärung (Bode/Heßling 2015, S. 62) und bieten sehr vielfältige Perspektiven auf sexualbezogene Themen wie z. B. Pornografie (Döring 2013).
  4. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia taucht bei fast allen sexualbezogenen Recherchen unter den ersten zehn Google-Treffern auf und wird von der Hälfte (48 %) der weiblichen und männlichen Jugendlichen als wichtige Quelle der Online-Sexualaufklärung genannt (Bode/Heßling 2015, S. 62).
  5. Social-Media-Plattformen, allen voran YouTube als die bei Jugendlichen beliebteste Internet-Adresse, bieten eine Fülle an Aufklärungsinhalten (Döring 2017b). Hierbei sind Fachleute mit reichweitenstarken Kanälen vertreten wie etwa der Sexualpädagoge Benjamin Scholz mit seinem YouTube-Kanal »jungsfragen«. Zudem sind hier oft Laien sehr aktiv und erfolgreich, die im Sinne von Peer-Beratung agieren (z. B. der YouTube-Kanal »einfach inka«) oder als Rollenmodelle für sexuelle und geschlechtliche Minoritäten agieren, etwa auf dem lesbischen YouTube-Kanal »The NosyRosie« (Döring/ Prinzellner 2016).
  6. Online-Pornografie-Portale haben für männliche (49 %) und weibliche (16 %) Jugendliche unter anderem Aufklärungsfunktionen (Bode/Heßling 2015, S. 62), da sie sexuelle Praktiken im Detail zeigen.
  7. Der Markt der Sexual Health Apps ist unzureichend erforscht und sehr dynamisch, grundsätzlich aber können Apps wirkungsvoll sein, z. B. zur Prävention ungeplanter Teenager-Schwangerschaften (Mangone/Lebrun/Muessig 2016). Bei Google-Suchen tauchen Apps zur sexuellen Gesundheitsförderung nicht auf. Sie müssen über Online-Stores für Mobile-Apps (etwa den Apple Store oder den Google Play Store) gesucht werden, und zwar in den Rubriken »Gesundheit und Fitness«, »Lifestyle« und »Medizin«. Besonders häufig heruntergeladen werden Sexual-Health-Apps, die an die Einnahme der Pille erinnern oder einen Zyklus-/Menstruationskalender anbieten – sie sind auch für jugendliche Mädchen relevant (Richman/Webb/Brinkley/Martin 2014).

Welche Qualität haben digitale Angebote der Sexualaufklärung für Jugendliche?

Im Alltagsverständnis und auch in der Fachliteratur hat sich die Vorstellung festgesetzt, dass Online-Informationen - einschließlich YouTube-Videos – stets mit besonderer Vorsicht zu betrachten seien, weil sie oftmals Qualitätsmängelinsbesondere sachliche Fehler – aufweisen. Egal, ob man nun YouTube-Videos zu HIV, HPV-Impfung, Beckenbodentraining, Intrauterinspirale oder vorzeitiger Pubertät analysiert – in allen bislang untersuchten YouTube-Video-Stichproben fanden sich nicht unbeträchtliche Fehlerraten (Döring 2017b).

Dass die Repräsentation von Sexualität, sexueller Gesundheit oder Gesundheit allgemein in digitalen Medien und speziell auf YouTube fehlerhaft ist, sollte indessen niemanden überraschen (Döring 2017a). Denn in jedem Kontext, in dem Menschen kommunizieren, werden bewusst oder unbewusst auch Fehlinformationen verbreitet. Sinnvoll einschätzbar wären Fehlerraten in digitalen Medien (Websites, YouTube-Videos, Aufklärungs-Apps) erst, wenn die Untersuchungsdesigns auch zumindest eine Vergleichsbedingung vorsehen würden: Wie steht es um die Lücken und Fehler sexualbezogener Kommunikation in Familien, unter Peers, in Arztpraxen, im Schulunterricht, in der freien Jugendarbeit, in Jugendbüchern und Aufklärungsbroschüren? Ohne derartige Vergleichsdaten ist das Berichten selektiver Fehlerraten auf YouTube oder in anderen Online-Kontexten wertlos.

Denn selbst Aufklärungsvideos auf YouTube, die in der einen oder anderen Hinsicht fehlerhafte oder fragwürdige Informationen vermitteln, könnten als nützlich und qualitätvoll eingestuft werden, wenn die jeweiligen Zielgruppen zu Hause, in der Schule oder in Schulbüchern nachweislich noch weniger oder noch problematischere Informationen erhielten. So wird beispielsweise das für Jugendliche aller Geschlechter wichtige und schambesetzte Thema der Selbstbefriedigung in offiziellen Aufklärungsbroschüren von BZgA und pro familia kaum behandelt, während es auf YouTube großen Raum einnimmt (Döring 2017c).

Zukünftig sind Studien notwendig, welche die Informationsqualität im Internet systematisch mit anderen Kommunikationskontexten vergleichen. Zudem benötigen wir für die Qualitätsanalyse der Online-Sexualaufklärung theoretisch begründete und validierte Messinstrumente, die inhaltliche und technische Qualitätskriterien umfassen (Döring 2017c; Gabarron/Fernandez-Luque/Armayones/Lau 2013; Madathil/Rivera-Rodriguez/Greenstein/Gramopadhye 2015).

Welche Nutzungsmuster und Wirkungen zeigen digitale Angebote der Sexualaufklärung?

Details darüber, wer wann wie und mit wem welche konkreten Angebote der Online-Sexualaufklärung nutzt und wie die vermittelten Informationen jeweils verarbeitet und mit Dritten besprochen werden, sind bislang mangels entsprechender Interview- und Fragebogenstudien unbekannt (Holstrom 2015).

Große Forschungslücken sind nicht nur hinsichtlich der Nutzungsweisen, sondern ebenso hinsichtlich der Wirkungen der digitalen Sexualaufklärung zu beklagen. Mangels empirischer Daten können hier bislang nur theoretisch begründete Annahmen formuliert werden. Auf der Basis kommunikationswissenschaftlicher und lernpsychologischer Theorien sind ganz allgemein Effekte wie die folgenden vorauszusagen:

  • Agenda-Setting (digitale Angebote der Sexualaufklärung können durch ihre Inhalte bestimmte Themen auf die Publikumsagenda setzen),
  • Framing (digitale Angebote der Sexualaufklärung können durch die Art und Weise, wie sie bestimmte sexuelle Themen und Probleme erklären, die Problemsicht des Publikums beeinflussen) und vor allem
  • Lernen am Modell (digitale Angebote der Sexualaufklärung können durch das Sichtbarmachen von sympathischen und erfolgreichen Rollenmodellen die Übernahme bestimmter Einstellungen und Verhaltensweisen beim Publikum begünstigen).

Ob wir derartige Effekte dann als »positiv« oder »negativ« für die sexuelle Entwicklung und sexuelle Bildung einstufen, hängt vom jeweiligen Kontext, Inhalt und Wertesystem ab (Döring 2017b). So mag es durchaus für viele jugendliche Mädchen und junge Frauen hilfreich sein, in Aufklärungsvideos auf YouTube erstmals so detaillierte Informationen und so vielfältige Rollenmodelle zum aktiven Umgang mit Selbstbefriedigung zu finden. Wo immer sexuelle Optionen sichtbar gemacht werden, geht dies aber auch mit der Anforderung einher, sie nicht als neue Norm zu verstehen und sich dadurch nicht unter Druck gesetzt zu fühlen. Die millionenfach geklickten Videos zu sexuellen Techniken wie »Fingern«, »Lecken« und »Blasen« mögen sich positiv auswirken, wenn sie Unsicherheiten abbauen und zum gemeinsamen Erkunden erwünschter sexueller Ausdrucksformen ermutigen. Solche An leitungs videos könnten aber auch Probleme kreieren, etwa übertriebene Erwartungshaltungen, Leistungsdenken oder die irrige Annahme, man wisse nun dank Video bereits, was die Partnerin oder der Partner mag. Wenn STI-Präventions botschaften in Sozialen Medien zu reduzierten Infektions raten führen, ist das eindeutig positiv, aber die entsprechende Evidenzlage ist begrenzt (Gabarron/Wynn 2016).

Es ist davor zu warnen, dem Internet übergroße positive oder negative Effekte auf die Sexualitäten der Gesamtbevölkerung zuzuschreiben. Denn welche Botschaften auch immer digitale Angebote der Sexualaufklärung vermitteln, sie sind stets eingebettet in zahlreiche weitere personale, situative und umweltbezogene Einflussfaktoren, die unsere sexuellen Entwicklungswege beeinflussen. Diejenigen, die keine dringlichen Anliegen haben und nur sporadisch auf Online-Sexualaufklärung zurückgreifen, dürften allenfalls geringe Effekte erleben. Wer jedoch ausgewählte Aufklärungs angebote intensiver verfolgt, konkrete Klärungsanliegen hat (z. B. Jugendliche, die sexuellen und geschlechtlichen Minoritäten angehören) wird stärkere Einflüsse der digitalen Angebote erleben.

Fazit

In digitalen Medien steht ein breites Angebot an Sexualaufklärung von und für Jugendliche zur Verfügung. Die professionelle Sexualpädagogik ist hier bislang wenig prominent vertreten, dafür sind Angebote der Peer-Aufklärung teilweise sehr populär. Es ist auch zu beobachten, dass anti-aufklärerische Botschaften in Sozialen Medien starke Verbreitung finden (Döring 2017a). Fachinstitutionen der sexuellen Bildung sind gefordert, im Kontext der boomenden Online-Sexualaufklärung sichtbarer zu werden und mit dem raschen Wandel der Social-Media-Kultur Schritt zu halten, was die Entwicklung und Umsetzung professioneller Social-Media-Strategien erfordert. Die Forschung steht vor der Aufgabe, Inhalte, Nutzungsmuster und Wirkungsweisen digitaler Angebote der Sexualaufklärung genauer zu untersuchen.

Literatur

Bode, Heidrun/Heßling, Angelika (2015): Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14- bis 25-Jährigen. Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativen Wiederholungsbefragung. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Byron, Paul/Albury, Kath/Evers, Clifton (2013): »It would be weird to have that on Facebook«: young people’s use of social media and the risk of sharing sexual health information. Reproductive Health Matters. 21(41) Döring, Nicola (2013): Wie wird Pornografie in Online-Foren diskutiert? Ergebnisse einer Inhaltsanalyse. In: Zeitschrift für Sexualforschung 26(4)

Döring, Nicola (2017a): Gesundheitskommunikation auf YouTube: Aktueller Forschungsstand. In: Scherenberg, Viviane/Pundt, Johanna (Hrsg.): Digitale Gesundheitskommunikation. Zwischen Meinungsbildung und Manipulation. Bremen: Apollon University Press

Döring, Nicola (2017b): Online-Sexualaufklärung auf YouTube: Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen für die Sexualpädagogik. In: Zeitschrift für Sexualforschung. 30(4)

Döring, Nicola (2017c): Sexualaufklärung im Internet: Von Dr. Sommer zu Dr. Google. In: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz. 60(9)

Döring, Nicola/Mohseni, M. Rohangis (2019): Are Online Sexual Activities and Sexting Good for Adults’ Sexual Well-Being? Results from a National Online Survey. In: International Journal of Sexual Health. 30(3)

Döring, Nicola/Prinzellner, Yvonne (2016): Gesundheitskommunikation auf YouTube: Der LGBTIQ-Kanal »The Nosy Rosie«. In: Camerini, A.L./Ludolph, R./Rothenfluh, F. (Hrsg.): Gesundheitskommunikation im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Reihe Medien + Gesundheit, Band 13. Baden-Baden: Nomos-Verlag

Gabarron, Elia/Fernandez-Luque, Luis/Armayones, Manuel/Lau, Annie Y. S. (2013): Identifying Measures Used for Assessing Quality of YouTube Videos with Patient Health Information: A Review of Current Literature. In: Interactive Journal of Medical Research. 2(1)

Gabarron, Elia/Lau, Annie Y. S./Wynn, Rolf (2016): Weekly Pattern for Online Information Seeking on HIV – A Multi-Language Study. In: Studies in Health Technology Information. 228

Gabarron, Elia/Wynn, Rolf (2016): Use of social media for sexual health promotion: a scoping review. In: Global Health Action. 9(1) Holstrom, Amelia M. (2015): Sexuality education goes viral: What we know about online sexual health information. In: American Journal of Sexuality Education. 10(3)

Madathil, Kapil Chalil/Rivera-Rodriguez, A. Joy/Greenstein, Joel S./Gramopadhye, Anand K. (2015): Healthcare information on YouTube: A systematic review. In: Health Informatics Journal 21(3)

Mangone, Emily Rose/Lebrun, Victoria/Muessig, Kathryn E. (2016): Mobile Phone Apps for the Prevention of Unintended Pregnancy: A Systematic Review and Content Analysis. In: JMIR mHealth and uHealth. 4(1)

Richman, Alice R./Webb, Monica C./Brinkley, Jason/Martin, Ryan J. (2014): Sexual behaviour and interest in using a sexual healthmobile app to help improve and manage college students’ sexual health. In: Sex Education. 14(3)

Autorinnen und Autoren

Nicola Döring, Prof. Dr. phil. habil., Dipl.-Psych.,
leitet das Fachgebiet »Medienpsychologie und Medienkonzeption« am Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft (IfMK) der Technischen Universität Ilmenau. Arbeitsschwerpunkte: Soziale und psychologische Aspekte der Online-, Mobil- und Mensch- Roboter-Kommunikation, Sexual- und Genderforschung, Forschungsmethoden und Evaluation.

Kontakt:
nicola.doering@tu-ilmenau.de

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